Sind Hunde die neuen Kinder? Die harte Wahrheit über Dog Moms & Kinderersatz | Episode 11

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Lesezeit 9 min

In den letzten Jahren ist der Ausdruck „Hunde als Kinderersatz“ immer häufiger in unseren Alltagssprache gerutscht. Auf Social Media lesen wir von „Dog Moms“ und „Dog Dads“, Haustiere feiern Geburtstage, bekommen eigene Instagram-Accounts oder werden in Partner-Pyjamas gesteckt.

Doch was steckt hinter diesem Trend? Handelt es sich einfach nur um niedliche Spitznamen – oder spiegelt er einen gesellschaftlichen Wandel wider?

Wir leben in einer Zeit, in der sich traditionelle Familienbilder verändern. Immer mehr Menschen entscheiden sich bewusst gegen Kinder, ob aus persönlichen, finanziellen oder gesellschaftlichen Gründen. Gleichzeitig wächst die Zahl der Haushalte mit Hunden. Hunde füllen emotionale Lücken, geben Halt und Struktur – und werden oft mehr als „nur“ ein Haustier.

In diesem Artikel nehmen wir uns Zeit, den Trend „Hunde als Kinderersatz“ kritisch zu betrachten. Wir beleuchten, was diese Entwicklung über uns Menschen aussagt, wo die Chancen, aber auch die Gefahren liegen – und vor allem, was das aus kynologischer Sicht für die Hunde bedeutet.

Gesellschaftlicher Wandel: Warum immer mehr Menschen Hunde als Kinderersatz sehen

In unserer heutigen Gesellschaft beobachten wir eine spannende Entwicklung: immer mehr Menschen entscheiden sich bewusst gegen eigene Kinder , aber nicht gegen Verantwortung oder Fürsorge. Stattdessen ziehen viele einen Hund ins Leben – und oft übernimmt dieser eine Rolle, die über „Haustier“ hinausgeht.


Warum ist das so?
Die Gründe sind vielfältig:

  • Karrierefokus: Viele Paare oder Singles konzentrieren sich auf den Beruf. Ein Hund passt oft besser in ein flexibles Leben als ein Kind.

  • Finanzielle Gründe: Kinder kosten über 200.000 Euro bis zur Volljährigkeit – ein Hund erscheint da „günstiger“, obwohl auch er Geld, Zeit und Energie fordert.

  • Gesellschaftlicher Druck: In einer Welt, die immer komplexer und unsicherer wird, haben manche Menschen schlicht Angst, Kinder in diese Gesellschaft zu setzen.

  • Emotionale Bedürfnisse: Hunde bieten Nähe, Liebe, Struktur – ohne die (menschlich-sozialen) Konflikte, die in menschlichen Beziehungen oft auftreten.


In Ländern wie Japan oder Südkorea gibt es inzwischen mehr Haustiere als Kinder unter 15 Jahren. Auch in Europa und den USA ist der Trend deutlich.

Ein Hund ist kein Ersatzkind. Seine Bedürfnisse, sein Verhalten und seine Wahrnehmung der Welt sind anders als die eines Menschen. Auch wenn er Trost spenden kann, darf er nicht die Verantwortung für menschliche Einsamkeit oder unerfüllte Wünsche tragen.

Hunde als Kinderersatz zu sehen, ist ein Phänomen unserer Zeit. Aber was bedeutet das wirklich – und warum ist es problematisch, Hunde in diese Rolle zu drängen?


Aus psychologischer Sicht bieten Hunde vieles, was Menschen emotional anspricht:

  • bedingungslose Akzeptanz,

  • körperliche Nähe,

  • Verlässlichkeit im Alltag.

Diese Faktoren können gerade bei Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch oder sozialen Defiziten eine große Rolle spielen. Studien zeigen:

  • Menschen aktivieren bei der Fürsorge für Hunde ähnliche Hirnareale wie Eltern bei der Fürsorge für Babys (z. B. Oxytocin-Ausschüttung).

  • Hunde reagieren auf menschliche Emotionen, lesen unsere Mimik und Gestik – das verstärkt die Bindung.

Doch genau hier liegt auch das Risiko: Wir neigen dazu, unsere menschlichen Bedürfnisse auf das Tier zu projizieren.
Das bedeutet: Der Hund wird nicht mehr als Hund wahrgenommen, sondern als emotionale Stütze, als Partnerersatz oder „Kind“, das unsere eigenen Defizite ausgleichen soll.


Aus kynologischer Sicht – also aus der Wissenschaft rund um das Verhalten und die Biologie des Hundes – gilt:

  • Ein Hund hat andere soziale Strukturen als ein Mensch.

  • Seine Kommunikation läuft über Körpersprache, Gerüche, Mimik – nicht über Sprache oder menschliche Emotionalität.

  • Hunde brauchen klare, hundegerechte Führung : Sicherheit, Routine, artgerechte Auslastung (körperlich, geistig, sozial).

Wird ein Hund wie ein Kind behandelt, entstehen oft Probleme:

  • Er wird emotional überfrachtet (z. B. ständig im Mittelpunkt, keine Ruhephasen).

  • Er bekommt keine klaren Grenzen, weil „Mama“ oder „Papa“ nur verwöhnen wollen.

  • Er entwickelt Verhaltensauffälligkeiten wie Trennungsangst, übermäßiges Bellen oder Aggression, weil er keine hundgerechte Rolle im sozialen Gefüge hat.


Ein Hund lebt nicht, um ein emotionales Loch zu füllen. Seine Würde als Tier bedeutet, ihn als eigenständiges Lebewesen zu respektieren – mit eigenen Bedürfnissen und Grenzen.
Wenn wir aus egoistischen Motiven handeln („Ich brauche einen Ersatz für…“), laufen wir Gefahr, das Tier zu überfordern oder gar zu missbrauchen, auch wenn das nicht absichtlich geschieht.

Auch wenn Hunde uns emotionale Nähe bieten, dürfen wir nicht vergessen, dass ihre Rolle in unserem Leben eine andere ist als die eines Kindes. Ein Kind entwickelt sich im Laufe seines Lebens zu einem eigenständigen Menschen, es stellt Fragen, rebelliert, will unabhängig werden und sucht nach seiner eigenen Identität. Ein Hund hingegen bleibt sein Leben lang abhängig von uns. Er wird nicht „erwachsen“ in dem Sinn, dass er sich von seiner Bezugsperson löst oder selbstständig Verantwortung für sein Leben übernehmen könnte.

Das bedeutet: Wir können eine tiefe, liebevolle und enge Bindung zu unserem Hund aufbauen, doch wir dürfen ihn nicht in Rollen drängen, die seiner Natur widersprechen. Ein Hund braucht uns als verlässliche Bezugsperson, nicht als Ersatzmutter oder Ersatzvater. Er braucht uns nicht, weil wir eine emotionale Lücke füllen müssen, sondern weil er als Hund artgerechte Führung, Sicherheit und Fürsorge benötigt.

Wenn wir unsere eigenen Bedürfnisse über die des Hundes stellen, entsteht eine gefährliche Schieflage. Wir riskieren, dass wir übersehen, was der Hund als Tier wirklich braucht: sozialen Kontakt zu Artgenossen, klare Regeln, Bewegung, Ruhephasen und hundgerechte Beschäftigung. Stattdessen machen wir ihn unbewusst emotional verantwortlich für unsere eigenen Baustellen – für Einsamkeit, unerfüllte Wünsche oder den Wunsch nach Geborgenheit. Damit gefährden wir nicht nur sein Wohlbefinden, sondern langfristig auch die Qualität der Beziehung zu ihm.

Eine gesunde Mensch-Hund-Beziehung basiert auf gegenseitigem Respekt, echtem Verständnis und artgerechter Fürsorge. Sie entsteht nicht dadurch, dass wir menschliche Erwartungen auf das Tier projizieren, sondern indem wir es als das wahrnehmen, was es ist: ein Hund, mit all seinen eigenen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Grenzen.

"Wenn du eine Lücke zu füllen hast, dann solltest du dich lieber nicht für einen Hund entscheiden, weil du dann dein Glück in jemand anderem suchst.“

Paulina

Emotionale Bindung zwischen Mensch und Hund: Nähe ohne Vermenschlichung

Die enge Bindung zwischen Mensch und Hund ist etwas Besonderes. Sie gehört zu den ältesten Mensch-Tier-Beziehungen überhaupt. Hunde begleiten uns seit Tausenden von Jahren – als Jagdhelfer, Hütehunde, Wachhunde oder einfach als treue Gefährten. Heute aber, in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft, rückt eine neue Frage in den Fokus: Sind Hunde die neuen Kinder? Werden Hunde als Kinderersatz gesehen?

Hunde gelten als hochsoziale Tiere , die evolutionär darauf geprägt sind, mit dem Menschen zusammenzuarbeiten . Bereits in der Domestikation wurde gezielt auf Kooperationsfähigkeit und Lesefähigkeit menschlicher Signale selektiert. Diese jahrtausendelange gemeinsame Geschichte hat dazu geführt, dass Hunde menschliche Mimik, Gestik und sogar Emotionen beeindruckend genau lesen können.

Eine bemerkenswerte Studie von Nagasawa et al. (2015) zeigte, dass beim gegenseitigen Blickkontakt zwischen Mensch und Hund in beiden Körpern Oxytocin , das sogenannte „Bindungshormon“, ausgeschüttet wird – das gleiche Hormon, das auch die Bindung zwischen Mutter und Kind stärkt .

Psychologisch betrachtet übertragen Menschen oft familiäre Strukturen auf ihre Tiere. Dies geschieht nicht zwingend aus einem bewussten Bedürfnis nach Ersatz, sondern oft aus Fürsorge : Man kümmert sich, man sorgt sich, man freut sich über Nähe. Trotzdem können hier unbewusste emotionale Projektionen hineinspielen. Gerade Menschen, die soziale Lücken oder Einsamkeit erleben , sehen in ihrem Hund nicht nur ein Tier, sondern oft einen Vertrauten, einen Partner im Alltag oder sogar eine Art Kind .

Aus ethischer Sicht ist diese emotionale Nähe nicht problematisch, solange der Hund in seiner eigenen Art ernst genommen wird : als Hund, mit eigenen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Grenzen.

Kynologisch bedeutet das: Hunde brauchen klare Führung, artgerechte Auslastung und soziale Kontakte zu Artgenossen – und nicht die Rolle eines menschlichen Kindes, das zu viel Verantwortung für das emotionale Gleichgewicht seines Menschen trägt. Nur so entsteht eine gesunde Bindung , die Nähe zulässt, ohne in Vermenschlichung abzurutschen .

In vielen europäischen Ländern – so auch in Deutschland, der Schweiz und Österreich – ist ein Rückgang der Geburtenrate zu beobachten. Karrierefokus, wirtschaftliche Unsicherheit, flexible Lebensentwürfe und veränderte Partnerschaftsmodelle führen dazu, dass sich Paare oder Einzelpersonen bewusst gegen Kinder entscheiden. Trotzdem bleibt bei vielen der Wunsch nach Fürsorge, Nähe und sozialer Bindung bestehen. Der Hund füllt hier oft eine emotionale Lücke: Er bietet Nähe, braucht Versorgung und wird gleichzeitig nicht als so lebensverändernd und langfristig belastend wahrgenommen wie ein Kind .

Aus psychologischer Sicht spielt eine große Rolle, dass Hunde auf vielen Ebenen ähnliche Bedürfnisse wie Kinder haben: Schutz, Fürsorge, Regeln und emotionale Zuwendung . Das aktiviert beim Menschen instinktive Fürsorgemechanismen , die eng mit unserem Bindungssystem verknüpft sind. Besonders Menschen mit einem hohen Bindungsbedürfnis , die aber z. B. keine eigenen Kinder haben (können oder wollen), projizieren dieses Bedürfnis oft auf ihren Hund.


Es ist nicht per se problematisch , Hunde als Familienmitglieder zu sehen oder liebevoll „mein Baby“ zu nennen. Kritisch wird es, wenn:

  • der Hund vermenschlicht wird , z. B. durch Kleidung, menschliche Rituale oder falsche Erwartungen,

  • er emotionale Lücken füllen muss , die eigentlich durch zwischenmenschliche Beziehungen gestillt werden sollten,

  • seine hündischen Bedürfnisse nicht ernst genommen werden (z. B. Artgenossenkontakt, Bewegung, klare Regeln).

Kynologisch und ethisch betrachtet bedeutet Hunde als Kinderersatz zu sehen, dass wir uns reflektieren müssen: Liebe, Fürsorge und Nähe sind wichtig – aber immer aus einer Perspektive, die den Hund als Hund respektiert. 

Auswirkungen der Vermenschlichung: Was passiert, wenn Hunde als Kinderersatz gesehen werden?

Hunde sind hochsoziale Tiere, die auf klare Kommunikation, Führung und artgerechte Beschäftigung angewiesen sind. Wird ein Hund jedoch als „Kind“ gesehen, kommt es oft zu einer Vermenschlichung . Das bedeutet:

  • Natürliche Verhaltensweisen werden fehlinterpretiert , etwa Spielaufforderungen oder Erkundungsverhalten.

  • Grenzen werden nicht gesetzt , weil Halter:innen Angst haben, „streng“ zu wirken.

  • Emotionaler Druck wird auf den Hund übertragen , wenn er die Rolle eines Partners oder Kindes ersetzen soll.


Hunde brauchen eine klare soziale Struktur, die ihrer Natur entspricht. Sie sind weder Kinder noch kleine Menschen, sondern Hunde mit spezifischen Bedürfnissen: Bewegung, geistige Auslastung, Sozialkontakt (zu Menschen und Artgenossen) und Ruhephasen.

Wenn Hunde als Kinderersatz betrachtet werden, können folgende Probleme entstehen:

  • Trennungsangst: Übermäßige Bindung führt zu Stress, wenn der Mensch geht.

  • Verhaltensauffälligkeiten: Bellen, Zerstören, Unsauberkeit oder Aggression entstehen oft aus Unsicherheit.

  • Frustration: Fehlende Führung verwirrt den Hund, er übernimmt Verantwortung, die ihn überfordert.

  • Eingeschränkte Lebensqualität: Statt schnüffeln, toben und lernen zu dürfen, lebt der Hund in einer „menschlichen Blase“.

Einem Hund gerecht zu werden bedeutet nicht, ihn wie ein Baby zu behandeln, sondern ihn als eigenständiges Wesen zu respektieren.


Studien zeigen, dass Hunde eine starke Bindungsfähigkeit zu Menschen besitzen, vergleichbar mit der Bindung von Kleinkindern zu Eltern (Topál et al., 1998). Doch Hunde profitieren vor allem von klaren, konsistenten Beziehungen , nicht von emotionaler Überfrachtung.

Psycholog:innen warnen: Wenn Hunde emotionale Lücken füllen sollen, die eigentlich zwischenmenschliche Beziehungen betreffen, kann das für Mensch und Tier belastend werden (Kurdek, 2008).


Das Thema „Hunde als Kinderersatz“ ist vielschichtig, emotional aufgeladen und gesellschaftlich hochaktuell. Wir haben gesehen, dass Hunde eine enorme Bedeutung im Leben vieler Menschen einnehmen können – und das ist zunächst nichts Schlechtes. Hunde bereichern unser Leben, schenken uns Freude, Nähe und Vertrautheit.

Doch entscheidend ist: Hunde sind keine Kinder. Sie sind keine Ersatzmenschen, keine Projektionsflächen für unerfüllte Wünsche und keine Lückenfüller für Einsamkeit. Sie sind eigenständige Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen, Emotionen und Verhaltensweisen.


Eine artgerechte Haltung bedeutet:

  • den Hund zu lieben,

  • für ihn Verantwortung zu übernehmen,

  • seine Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen,

  • aber ihm auch seine hündische Würde zu lassen.

Lui & Paulina mit Seelenhund Vito & amalia

Über Vitomalia und die Autoren Lui & Paulina

Der Name Vitomalia entstand aus den Namen ihrer beiden geliebten Hunde: Vito und Amalia . Vito, ein sensibler und lebensfroher Hund, begleitete Lui und Paulina durch viele prägende Jahre. Nach langer, schwerer Krankheit mussten sie Vito am 14. Februar 2025 schweren Herzens gehen lassen.

Aus diesem Verlust entstand der Wunsch, das Erlebte nicht nur für sich zu verarbeiten, sondern auch anderen Hundehaltern Mut, Wissen und Trost zu schenken – so wurde der Podcast geboren, als eine Art Trauerbewältigung und zugleich als Plattform, um über Hundehaltung zu sprechen, wie sie wirklich ist: voller Liebe, Herausforderungen und Wachstum.

Lui stammt ursprünglich aus dem Sportbereich, Paulina aus der Psychologie. Ihre gemeinsame Leidenschaft für Hunde führte sie zusammen. Aus einem Hobby wurde eine Berufung: Lui absolvierte die Ausbildung zum Verhaltenstherapeuten für Hunde, Paulina spezialisierte sich auf Hundewissenschaft. Zusammen arbeiteten sie viele Jahre als Hundetrainer, bis sie erkannten, wie groß der Bedarf an sinnvollem und sicherem Hundeequipment ist.

Aus dieser Idee entstand der Vitomalia Online Shop, der heute ihr Hauptaugenmerk ist. Doch ihre Leidenschaft für die enge Zusammenarbeit zwischen Mensch und Hund bleibt ungebrochen. In ihrem Podcast teilen Lui und Paulina ihre Erfahrungen, ihr kynologisches Wissen und möchten einen ehrlichen, realistischen Blick auf Hundehaltung vermitteln – ohne Filter, ohne Klischees, dafür mit Herz und Verstand.

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